Unser doppeltes Weihnachts- und Winterkonzert 2014:
G. F. Händels Oratorium "Messiah"
und "Sprachfenster" von Pier Damiano Peretti
Samstag, 20. Dezember 2014 Sonntag, 21. Dezember 2014
19:00 Uhr 19:00 Uhr
Lutherische Stadtkirche Evangelische Auferstehungskirche
Dorotheergasse 18 Ferdinand-Porsche-Ring 4
1010 Wien 2700 Wr. Neustadt
auf Musikam12ten
auf Musikam12ten
Anna Magdalena Auzinger,
Sopran
Neue Hofkapelle Graz
Albert Schweitzer Chor
Sprecherin: Caroline Koczan
Sprecher: Roman Schmelzer
Matthias Krampe: Leitung
Ein außergewöhnlicher Messiah wird es sein: Leicht gekürzt und ergänzt um zeitgenössische musikalische Interpolationen von Pier Damiano Peretti, eigens für diese Aufführungen geschrieben; nach Gedichten von Paul Celan, Ingeborg Bachmann und Gottfried Benn; Sprachgefüge Ines Knoll.
„Kollisionen“ zeitgenössischer und historischer Musik
Händels „Messiah“, bekannt und beliebt, spannt seinen großartigen Bogen über das ganze Leben Jesu Christi, von der Geburt über die Auferstehung bis zum Pfingstgeschehen, eine einzigartige Zusammenschau christlicher Tradition. Dabei erscheint aber Händels Musik, so großartig sie ist, als zu glatt und reibungsarm, um den Brüchen im individuellen wie gesellschaftlichen Leben der Gegenwart angesichts der Textgrundlage gerecht zu werden: Finden wir in dieser Musik denn noch die Erfahrung, die Suche, die Anfechtung heutiger Tage?
Wir spielen Händel mit Originalinstrumenten in historisch informierter Aufführungspraxis: Zu welchen musikalischen Farben wird ein heutiger Komponist von diesem Klangkörper angeregt?
Beide Fragen und der Wunsch, zeitgenössische Klänge und Texte der Gegenwart in dieses Werk zu interpolieren und die glatte Oberfläche damit aufzubrechen, Hörgewohnheiten zu hinterfragen und gleichzeitig künstlerisches Schaffen der Gegenwart zu vermitteln, fließen zusammen in einer ganz besonderen Realisierung dieses „Messiah“.
Zu Händels Werk (leicht gekürzt) treten Texte von Bachmann, Benn, Celan, zusammen gefügt und mit eigenen Texten erweitert von Ines Knoll. Pier Damiano Peretti (*1974) hat diese „Sprachfenster“ zur Gegenwart auskomponiert, ihn forderte heraus„ die in der für unsere Ohren etwas harmlos gewordene Barockmusik steckende Abgründigkeit wieder zu offenbaren. Manchmal wird die Botschaft der Bilder erst durch die musikalische Ebene greifbar; ebenso kann von dieser allzu Eindeutiges in Frage gestellt werden, um ins Mehrdeutige zurückfallen…“. So gewinnt Händels „apollinische“ Deutung des Heilsgeschehens eine existenzielle Dramatik, die uns direkt angeht.
Matthias Krampe
Der Komponist zu „Sprachfenster“
Spätestens seit einigen Schlüsselwerken von Luciano Berio, Salvatore Sciarrino und Georg Friedrich Haas sind bewusste „Kollisionen“ zeitgenössischer und historischer Musik (in Form von Collagen, Zitaten, Neufassungen oder Interpolationen) kein Tabu mehr. Beispiele dafür lassen sich übrigens auch quer durch die Musikgeschichte entdecken, etwa bei der Alternatim-Praxis, in der mittelalterliche Gesänge mit moderner Vokalpolyphonie vermischt wurden.
Es dürfte dennoch das erste Mal sein, dass Händels bekanntestem Oratorium derartiges „zustößt“: Als mir Matthias Krampe die mutige Tat vorschlug, musste ich es mir genau überlegen: Ja, in der Messias-Rezeption gab’s von Anfang an eine Tradition der Striche, selbst der Komponist rang mit der endgültigen Fassung. Was aber kann man Händels Musik noch hinzufügen? Darf man es überhaupt?
Erst beim Durchlesen der Texte, die Ines Knoll aussuchte bzw. verfasste, verflüchtigten sich meine Bedenken: Denn nicht um ein bloßes „Hinzufügen“ geht es dabei, wie auch nicht um bloße Musik. Mir scheint es, dass die dazugekommene Textschicht zu einer Betrachtung der Messias-Geschichte anregt, die unserem Blickwinkel besonders nahe steht: Benn, Bachmann, Celan und Knoll verleihen Händels apollinischer Deutung eine existentielle Dramatik, die uns direkter angeht. So hört sich selbst ein solcher „Klassiker“ plötzlich anders.
Genauso wollen sich auch meine musikalischen „Fenster“ zu Händel verhalten. Zeitweise kam ich mir beim Komponieren in der Rolle eines Provokateurs vor, der für unsere Ohren etwas harmlos gewordene Barockmusik dazu herausforderte, die in ihr steckende Abgründigkeit wieder zu offenbaren. Es ist ein wenig wie Filmmusik: Manchmal wird die Botschaft der Bilder erst durch die musikalische Ebene greifbar – ebenso kann von dieser allzu Eindeutiges in Frage gestellt werden, um ins Mehrdeutige zurückfallen…
Der Ablauf der sechs Sätze wird meistens von den Sprechern getragen, die nach detaillierter Partitur mit den Instrumenten musizieren; der Chor agiert dabei als deren virtueller Resonanzkörper. In meiner Klangsuche war ich stets bedacht, zu Händel „Distanz zu halten“: So mutieren seine Sänger zu Rezitatoren, die Chöre zu flüsternden Sprechkontrapunkten, das kompakte Orchester zu immer anders gearteten Kammerensembles. Zwei Schlagzeuggruppen bilden einen weiteren Kontrast zum barocken Instrumentarium; das Spannungsfeld zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem wird somit nicht nur akustisch, sondern auch visuell erfahrbar gemacht.
Pier Damiano Peretti